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Unsere Gesellschaft hat als Utopie nichts anderes mehr anzubieten als die Vorstellung eines halbwegs glücklichen Lebens. Doch dieses Glück wird zunehmend angstunterlegt sein. Sagt der Philosoph Peter Strasser.
Das folgende Interview von Hubert Patterer und Stefan Winkler für die Kleine Zeitung wurde am 2. Jänner 2002 veröffentlicht.


Wenn Sie zu Beginn dieses neuen Jahres nach vorne schauen, was sehen Sie da?
PETER STRASSER: Ich sehe nichts. Keine Idee. Keine Utopie. Das Einzige, was ich sehe, ist die noch stärkere Ökonomisierung aller Lebensbereiche und die damit einhergehenden Ängste, ob das Werkl halten wird. Das ist die Zukunft, die ich sehe.

Nichts, worauf man sich freuen könnte?
STRASSER: Wir haben uns mit dem Ende des Kommunismus endgültig dem Markt ausgeliefert. Die Politik hat den Rückzug angetreten. Das Beste, was man sich wünschen kann, ist, dass es keinen wirtschaftlichen Kollaps gibt. Dass die Leute in Wohlstand leben. Kurzfristig Glück generieren. So nach dem Motto: Besser reich und gesund als arm und krank. Damit endet eine lange europäische Geschichte voller Hoffnung und Utopien. Fertig. Aus.

Ist der Euro Sinnbild dieser Entwicklung?
STRASSER: Natürlich. Er symbolisiert genau diese Art von Gleichschaltung im Basisbetrieb der Gesellschaft. Er führt uns drastisch vor Augen, dass die Idee Europa, worin immer sie im Anfang bestand, zu einer rein ökonomischen Idee verkommen ist.

Was war für Sie die ursprüngliche Idee?
STRASSER: Mich hat fasziniert, dass da ein großer politischer Friedensraum erzeugt werden sollte. Nicht von Militärs und auch nicht so sehr von Politikern. Sondern von Bürokraten, Beamten und Großadministratoren. Das ist einmalig in der Weltgeschichte. Das Europa der Zukunft wird nur funktionieren, wenn es ein Europa der demokratisch legitimierten, bürokratisch verfahrenden Rationalität sein wird. Mittlerweile hat diese gewaltige Administration aber ein ebenso riesiges Problem: Sie kann die Marktprozesse nicht mehr beherrschen. Sie wird im Gegenteil abhängig davon . . .

. . . ketzerisch gefragt: Na und?
STRASSER: Die Basisautonomie der Politik, die darin bestand, die Ökonomie zu beherrschen, geht verloren. Deshalb kommt es zu so ritualistischen Regentänzen wie in Österreich, wo man den Leuten einhämmert, wie sehr sie das Nulldefizit brauchen. In Wirklichkeit ist das Nulldefizit nur ein Symbol, das uns klarmachen soll, dass die Politik die Wirtschaft noch im Griff hat. Obwohl längst das Gegenteil der Fall ist. Selbst die Bereiche, wo Politik noch Gesellschaft gestalten könnte, wie die Universitäten, werden privatisiert. Wenn aber alles privatisiert wird, was wird der Politiker dem Volk, dem Souverän gegenüber noch zu verantworten haben? Seine Unmöglichkeit zu regieren?
Peter Strasser
Hat die Politik nicht mit dem Euro Gestaltungswillen bewiesen? Ist die Einheitswährung kein Symbol des Zusammenrückens?
STRASSER: Wer rückt hier zusammen? Wir mit den Belgiern? Die Franzosen mit uns? Lächerlich. Dieses so genannte Zusammenrücken findet über das Maß, in dem wir ohnedies ökonomisch auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet sind, nicht statt. Bitte schön, vielleicht rücken wir auch noch vor dem organisierten Verbrechen zusammen. Das wär‘s dann aber auch schon. Wenn das unsere Idee von Europa sein sollte, dann fragt sich: Haben sich dafür die vielen Anstrengungen gelohnt?

Trauern Sie dem Schilling nach?
STRASSER: Für mich und viele andere, die dieser dummen Euromanie zum Opfer fallen, ist der Schilling so wie die Neutralität zu einem Symbol für die Identität Österreichs geworden.

Das kann dann aber keine sehr stark ausgeprägte Identität sein.
STRASSER: Symbole sind Symbole. Wir haben keine besseren. Aber diese haben wir. Und überhaupt: Ich bin Jahrgang 1950. Für mich ist die Neutralität etwas, womit ich groß wurde. So wie der Schilling als Sinnbild des österreichischen Wirtschaftswunders. Deshalb trauere ich dem Schilling auch nach. So wie ich entsetzt bin, wie kaltschnäuzig man sagt: Wir haben da Lipizzaner, Mozartkugeln, und die Neutralität und all das ist längst überfällig. Das zeigt doch nur, dass bestimmte Politiker längst kein Gefühl mehr für Symbole haben, die in einem ohnedies identitätsschwachen Land Identität stiften können.

Der Euro kann die Identitätslöcher, die da entstehen, nicht stopfen?
STRASSER: Was soll der Euro ersetzen? Schon allein sein Name wurde geprägt, damit alle, die Englisch reden, ihn gut aussprechen können. Die darunter liegende Währungseinheit heißt bereits Cent. Ich will nicht deutschtümeln. Aber dass man sich so ohne weiteres bereit erklärt, von der Sprache und Kultur Abschied zu nehmen, das hat doch etwas zu bedeuten. Das sind lauter kleine symbolische Akte. Wer das nicht sieht, der ist irgendwie dumm.

Spiegelt sich die Auflösung von Identität nicht auch in den neuen Banknoten wider? Kein Kolosseum, kein Notre Dame als Motiv, sondern anonyme Brücken und Tore als Symbol eines entmaterialisierten Europa?
STRASSER: Handke fragt immer: Was sehe ich? Ich sehe von Europa zurzeit auch nicht mehr als auf diesen Banknoten ist. Europa als Idee? Das sind bestenfalls wohlhabende Leute, die viel herumreisen und als Gourmets in die besten Lokale des jeweils bereisten Landes einfallen.

Immerhin: Ohne Geld wechseln zu müssen.
STRASSER: Natürlich, das Konsumieren fällt jetzt noch leichter. Nur, wohin wird das führen? Wenn man schon die Globalisierung will, dann bedarf das einer Solidarität mit dem Elend dieser Welt, die ich nicht erkennen kann, wenn ich mir die angstgetriebene ökonomische Strategie der Wohlstandsländer anschaue.

Angst war das dominante Lebensgefühl des letzten Jahres. Angst vor BSE, Temelin, Terror. Geschürte und reale Ängste. Werden sie bleiben?
STRASSER: Es wird noch schlimmer. Die Welt, in der wir leben, setzt voraus, dass das Wirtschaftswachstum ständig angekurbelt wird. Dadurch erhöht sich der Mobilitätsdruck. Die Menschen werden ein Leben führen, das zwar nach Glück strebt, aber von Angst unterlegt ist. Sicher, es gibt immer Abenteurer. Aber die meisten haben Angst. Schon als Kleinkinder sind die Leute mit der Angst konfrontiert, Versager zu sein. Sie werden ihr ganzes Leben lang Angst haben. Ob sie eine gute Arbeit bekommen. Ob ihre Arbeit von neuen Technologien verdrängt wird. Ob sie ihre Familie erhalten können. Sie müssen immer leistungsbereit sein. Bis ins hohe Alter. Selbst der Sterbende wird Sterbearbeit leisten müssen. Er soll nicht nutzlos vor sich hin sterben.

Nach dem 11. September sprach man vom entsicherten Leben. Hat der Terror die von Ihnen skizzierten Angstphänomene nicht verstärkt?
STRASSER: Die Angst, von der ich spreche, hat nichts zu tun mit Managern, die sich vorm Fliegen fürchten. Ich meine die ganz normale Lebensangst: Dass der Tag beginnt und du hast wieder deinen Mann zu stellen. Unsere Gesellschaft hat als Utopie nichts mehr anderes anzubieten als die Vorstellung eines glücklichen Lebens, das man in Frieden zu Ende leben kann. Alle anderen Ideen haben wir in der säkularisierten Welt abgelegt. Die Glücksidee, die wir haben, wird aber durch die ökonomische Beschleunigung konterkariert, die aus den Menschen Ameisen macht.

Sie meinen, Sisyphos muss seinen Stein immer rascher wälzen, bis er von ihm überrollt wird?
STRASSER: Die Menschen sind immer weniger selbstbestimmt. Sie glauben, alles möglichst rasch tun zu müssen, um glücklich zu sein. Wenn man dann aber auch noch fürchtet, seiner Umwelt nicht gerecht zu werden, dann wird die Gesamtbilanz des Lebens irgendwie schizophren und irrsinnig.Die entscheidende Frage der Zukunft wird also sein, ob wir die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen können, um zumindest das Minimalziel, glücklich zu sein, zu erreichen.


Peter Strasser, geboren 1950, lehrt Philosophie und Rechtsphilosophie in Graz.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung.



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