"Eine neue Lust macht sich breit: zu philosophieren. Denken
ist die hocherotische Essenz unserer Persönlichkeit. Heißt es. Kein Wunder,
dass Philosophische Cafés boomen und man mittlerweile bei Sinn- und andern
Krisen Rat beim Philo-Praktiker sucht."
Kaum zu glauben, aber die oberen Zeilen stammen aus der
Januar-Ausgabe eines bekannten Lifestyle-Magazins.
Doch was wie eine Eintagsfliege aus dem intellektuellen Bereich anmutet,
fühlt sich durch Aussagen bekannter Zukunftsforscher ebenso bestätigt
wie durch das Etablieren von philosophischen Institutionen in der Gesellschaft.
Abseits des Campus, der Hörsäle und dunkler philosophischer Elfenbeintürme
liegt das "Denken über das Denken" im Trend.
Der Philosoph Norbert Bolz spricht davon, dass "wir die Fragen
suchen, auf die unser Wissen eine Antwort sein kann. Und soweit Philosophie
sich als die Kunst des Fragens versteht, hat sie in der Wissensgesellschaft
eine Zukunft als Technik der Komplexitätsreduktion und als Metadesign
von Wissen."
Freilich etwas anregender ist der journalistische Zugang:
"Vielleicht waren die Zeiten nie aufregender, kreativer und sinnlicher
als jetzt. Weil wir unsere erogenste Zone wiederentdeckt haben - und die
befindet sich im Kopf. (...) Philosophie macht unsere Welt größer. Sie
ist Raumgewinn, weil sie das Tempo aus unserem Leben nimmt. Wir können
uns endlich wieder fallen lassen, einatmen, ausatmen, langsamer werden
und einen ruhigeren Blick auf unsere Lebensführung und unsere Welt werfen.
Uns neu besinnen."
Das dürfte der Ansatz sein, den auch die philosophischen Praxen anbieten,
die in vielen Städten gegründet werden. Der neue Therapieansatz, das Bewusstsein
zu schärfen und zu zeigen, dass es nicht nur auf die "eine Wahrheit"
ankommt, hilft gestressten Managern ebenso wie Hausfrauen. "Die Praktiker
verschreiben weder eine Prise Heraklit noch eine geballte Dosis Hegel.
Ihr Rezept ist der philosophische Dialog."
Dieser Dialog, der ansonsten wohl (in seinem Tiefgang) nur vergleichbar
auf der Couch des Psychologen stattfindet, kommt hingegen ohne Diagnosen
aus. Das Staunen über die Welt, das Hinterfragen von Tatsachen und
die Neugierde ersetzen dabei Verhaltenstherapie, Hypnose und Antidepressiva
des Psychologen. Mit dem Vorteil, dass ein geschärftes Reflexionsbedürfnis
ohne Ablaufdatum und Nebenwirkungen auskommt.
Vielleicht sollten Krankenversicherungen in Zukunft darüber nachdenken,
ihren Patienten ebenso eine geistige Vorsorge
anzubieten.
Schließlich wird darüberhinaus der soziale Erfolg prognostiziert:
"Denken macht die Sinnlichkeit bei einem Date aus, die Ausstrahlung bei
einem Vorstellungsgespräch, gibt der emotionalen Bindung an Partner und
Freunde Tiefe."
Bleibt die Frage offen, wie Philosophen sich dieser neuen Herausforderung
stellen. Die Reserviertheit komplexen Denkens gepaart mit einem Hauch
Weltfremdheit sind oftmals nicht die idealen Startbedingungen für das
"philosopher goes public". Die Vorurteile und die Vorsicht, die man
gegenüber allzu ins Oberflächliche tendierender Strömungen
wie der Esoterik hält, sind berechtigt. Doch erstmals seit langer
Zeit bekommt die Philosophie wieder die Chanche, durch "zeitgemäße
Betrachtungen" ihren Platz in der Gesellschaft zurückzuerobern
und den griechischen Marktplatz neu zu entdecken.
Doch, um mit Albert Einstein abzuschließen: "Es ist einfacher,
ein Atom zu spalten als ein Vorurteil."
Paolo Reininghaus, geboren 1977, betreibt
die Plattform philosophie.at.
Zitate aus der Januar Ausgabe 2004 der Zeitschrift
"Madame"
Weitere Infos unter www.madame.de
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